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Facebook, Twitter & Co verzerren den Blick

Noch nie war die Welt so schlimm und alles wird Tag für Tag schlechter. So sieht die Weltsicht vieler Menschen aus und dafür spricht in der Tat auch eine Menge. Gleichzeitig stimmt: „Die Welt ist heute etwa hundert Mal wohlhabender als vor zweihundert Jahren, und der Wohlstand ist gleichmässiger über Länder und Schichten verteilt“, analysiert Steven Pinker in der Neuen Züricher Zeitung. Guido Mingels im SPIEGEL Buchverlag bestätigt diese Weltsicht: „Früher war alles schlechter“. Beide zählen auf und belegen, was sich in den vergangenen Jahrzehnten zum Besseren gewendet hat.

Dennoch prägen unsere Sicht diejenigen, deren Geschäftsmodell lautet: Only bad news are good news! Diese Geschäftsidee der klassischen Medien perfektionierten unterdessen die sozial genannten Medien in ungeahnter Weise. Dass „ihre Plattformen nur eine neutrale Infrastruktur darstellen, mit der man Gutes wie Böses anstellen könne“, damit haben sich bisher die Internetkonzerne herauszureden versucht, so Christoph Drösser, ZEIT ONLINE. „Doch der finanzielle Anreiz durch die Anzeigen fordert geradezu auf, das System zu manipulieren.“

Zunächst: Die User produzieren die Inhalte dieser Medien freiwillig und selbst, während sich die Internetkonzerne für ihre Medien ausgebildete und (vielleicht) widerspenstige Journalistinnen und Journalisten ersparen können. Das kommunikative Geschäft vollenden Algorithmen: Sie bewerten, sortieren, spitzen zu, skandalisieren, sie forcieren zu pöbeln, sie treiben, jagen, übertönen, lassen brüllen und hassen. Diese Negativspirale treibt die Kommunikation ohne Ende unablässig voran. Per Like und Klicks bestätigen sich die Beteiligten „auf Augenhöhe“ und ziemlich frei von anderen Sichten. Wehe, wer widerspricht! Und diese Art der Kommunikation verkauft sich wegen der personifizierten Datenmasse millionenfach blendend gut an die Werbeindustrie.

Keine Frage, nicht alle Nutzer erliegen diesem Trend. Sie nutzen gern die ad hoc kostenlosen, fantastisch organisierten Massenmedien. Gleichzeitig bedienen jedoch Millionen von Usern  – gesteuert und gefiltert über Algorithmen – die Gesellschaft mit Ekel, Wut, Misstrauen und Hass. Das vergiftet nicht nur das gesellschaftliche Klima, sondern raubt Zeit und Mut, etwas anzupacken und tatsächlich zu verbessern. Wir ertrinken im Zuviel des bestenfalls Banalen. Die Smartphones fungieren als Suchtmaschinen.

Deshalb ist es an der Zeit, die sozial genannten Medien als das zu behandeln, was sie sind: privat organisierte und auf Gewinnmaximierung orientierte digitale Massenmedien. Die Bezeichnung sozial ist im Sinn von Verkauf ein wahnsinnig gut gewählter Begriff. Wir alle – auch die Wissenschaft – sind diesem Marketingbegriff auf den Leim gegangen. Die neuen Medien müssen deshalb endlich steuer- und medienrechtlich vergleichbar wie die klassische Medienwirtschaft eingeordnet und staatlich reguliert werden. „Wie Zauberlehrlinge haben die Internetkonzerne eine Macht entfesselt, die sie nicht bändigen können.“ (Drösser) Wen wundert es: Die Brille der digitalen Massenmedien verzerrt den Blick.

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