Endlich bewahrt einer mal Ruhe und Übersicht: Rainer Stadler, Neue Züricher Zeitung, hält die Aufregung um das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz für überzogen und meint, das Gesetz „verlangt von interaktiven Plattformen wie Facebook, Twitter und Youtube, offensichtlich strafbare Botschaften innerhalb eines Tages zu entfernen“. Das sei grundsätzlich positiv. Dass das neue Gesetz auch Probleme verursacht, will Stadler nicht verneinen. „Dennoch verwundert die Aufregung. Die Kritiker auf allen Seiten argumentieren, dass hiermit eine ‚private Medienpolizei‘ die Aufgabe des Staats übernehme. Die sozialen Netzwerke könnten jedoch weder rechtlich noch faktisch ein Gerichtsverfahren ersetzen.“ Keine Frage, das stimmt. „Die [klassischen] Massenmedien müssen jedoch ebenso unter Zeitdruck entscheiden, welchen Leserbrief oder welchen Online-Kommentar eines Besuchers sie auf ihren Foren zulassen wollen – ohne vorher die Polizei zu fragen. Diese Entscheidungsfreiheit ist ihrerseits Teil der Meinungs- und Medienfreiheit.“ Deshalb wird ihnen auch niemand, meine ich, Zensur oder einen Eingriff in Meinungsfreiheit vorwerfen. Im Gegenteil, von Qualitätsmedien erwarte ich das. So, wie ich mein Recht wahrnehme, jemanden aus meiner Wohnung zu werfen, der mich agitieren will und bewusst dummes und strafbares Zeug quatscht.
„Wenn nun Twitter oder Facebook“, so Rainer Stadler weiter, „durch voreilige Sperrungen überreagieren, ist das ihr Problem. Dann müssen sie eben dazulernen und Personal anstellen, welches die Fälle sachgemäß im Sinne der Gesetzeslage beurteilt.“ Bisher hätten die Netzwerke, betont Stadler, solche Rechte wie den Persönlichkeitsschutz viel zu wenig ernst genommen. „Im Gegensatz zu den national oder regional verankerten Medien sind diese globalen Konzerne für Betroffene schwerer adressierbar.“ (Dazu Richard Gutjahr auf ZEIT ONLINE „An Deiner Stelle würd ich mir in die Hose scheissen […].“)
Nun werden diese digitalen Plattformen den Medien juristisch gleichgestellt. Warum nicht? Facebook, Twitter, Youtube & Co preisen sich selbst als soziale Medien. Dass sie weltweit wie Medien wirken und agieren, ist offenkundig, auch wenn nicht Journalisten, sondern vor allem die Nutzer selbst die Inhalte beisteuern. Das Prinzip ist das gleiche. Um dabei kräftig Steuern zu sparen und (für Medien gemachte) Gesetze zu umgehen, treten die Plattformen in den USA und weltweit als Technologiekonzerne auf. Wer sich über das neue hiesige Gesetz, das sicherlich Kanten und Ecken hat, als „Zensurgesetzt“ aufregt, der folgt – bewusst oder unbewusst – der Logik und der cleveren Marketingstrategie dieser US-amerikanischen Plattformen. Denen ist aus verständlichen Gründen die Pflicht, sich um das „eigene Haus“ zu kümmern, mehr als lästig. Es geht dabei weltweit um viel Personal und richtig viel Geld. Deshalb überlassen sie es höflich dem Publikum, sich aufzuregen.