„Der ÖPNV ist der neue Porsche“, sagt am 20. April Michail Hengstenberg, seit 2012 Ressortleiter Auto bei SPIEGEL ONLINE. Hengstenberg zielt damit auf das enorm gestiegene publizistische Interesse am öffentlichen Nahverkehr. Wer hätte das je für möglich gehalten?
Das Angebot in deutschen Städten erweist sich zwar nicht als billig, jedoch mit Straßenbahn und Bus, S- und U-Bahn als sehr vielfältig. Nicht vorstellbar, wenn dieses Angebot fehlen würde und die Fahrgäste alle auf ihre Autos und Motorräder umsteigen. Nichts würde mehr funktionieren. Vorbei mit städtischer Lebensqualität. Auf dem Lande und in Stadtrandgebieten bleibt das Angebot rar. Und die Frage, wie ist der Nahverkehr auf die digitale Zukunft vorbereitet?
Die Nahverkehrsunternehmen haben meistens noch nicht begriffen, dass Digitalisierung vor allem darin besteht, Organisation, Service und Angebot auf mathematischer Basis (mit Algorithmen) neu zu organisieren. Damit verbunden ist, um digital erfolgreich zu sein, die Arbeitskultur grundlegend zu verändern. Militärische Verwaltungsorganisation und alleswissende Bosse gehören in das Jahrhundert, wo Porsche als Non plus Ultra galt.
Die Automobil-Unternehmen ihrerseits legen sich neuerdings kräftig ins Zeug und erobern mit Millionen ein für sie neues Geschäftsfeld: den Nahverkehr. Beispiel unter vielen ist MOIA, ein neues Tochterunternehmen (ausgerechnet) von Volkswagen. Innerhalb von zwei Jahren entwickelte MOIA ein Pilotprojekt für ein digital organisiertes Fahrangebot auf Bestellung von Haustür zu Haustür. Die Kunden können künftig ihr Auto stehen lassen und schaffen damit Platz auf den Straßen. Währenddessen basteln die ÖPNV-Unternehmen seit Jahren an Angebotsplattformen und hoffen, dass sich die digitalen Automobile (vielleicht selbstfahrend) in ihre Angebote eingliedern. Notfalls müsse die Politik regulierend eingreifen.
Von einem innovativen Mobilitätsangebot, das ähnlich wie vormals Porsche faszinierte, sind die ÖPNV-Unternehmen meilenwert entfernt, auch wenn die Kunden sich das wünschen. Bestenfalls funktionieren digitale Informationen und Tickets. Schade. Chancen hätten die ÖPNV-Unternehmen, wenn sie selbst intelligent Kräfte mobilisieren und bündeln, statt auf die Politik zu hoffen. Erfahren genug sind sie. Gerechterweise sei allerdings angefügt: Die städtischen ÖPNV-Unternehmen gehören seit Jahren schon zum verarmten Adel.