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Die Wiederkehr der Propaganda als giftiger Virus

Propaganda entfaltet sich prachtvoll in totalitären Systemen. Ich weiß, wovon ich rede. In der DDR konnte man sich der Propaganda kaum entziehen. Überall sprach eine Partei – von früh bis spät in Kindergärten, Schule, Universitäten, Betrieben, Institutionen, in allen Zeitungen, im Rundfunk, im Fernsehen und immer das Gleiche. Nur diese eine Partei sprach. Manchmal brutal, manchmal subtil, manchmal dumm. Sich gegen diese Propaganda, die jeden umzingelte, zu wehren, verlangte viel Kraft. Wer es öffentlich wagte, ging in den Knast. Aus all diesen Gründen ist ein Vergleich mit der Gegenwart Unsinn.

Fernsehen und Radio aus dem Westen waren eine unschätzbare Hilfe für eigenes Denken. In diesen Westmedien* hörte und sah man anderes. Dieses „Andere“ konnte der gut einordnen, der die Realität sah.

Die DDR verstand ich, den Westen nicht. Das jedoch begriff ich erst „Schritt für Schritt“ auf meinen Reisen. Die Medien vermitteln eben keine Realität. Bestenfalls vermitteln sie – gut geschrieben – Nachrichten und anregende Sichtweisen. Um die Realität muss sich jeder selbst kümmern.

Nach 1989 lief mir Propaganda, wie ich sie bis dato kannte, nicht mehr über den Weg. Die Medien publizieren in Deutschland unglaublich vielfältig. Ich kann, wenn ich den Aufwand nicht scheue, mich ausgezeichnet informieren. Klar, leichte Lektüre bieten viele an. Doch warum zeigt Propaganda heute wieder Wirkung? Wie kann das eine vom anderen unterschieden werden?

Die journalistischen Medien haben erheblich an Glaubwürdigkeit verloren, die Gatekeeper-Funktion und ihr Geschäftsmodell eingebüßt. Bei genauer Betrachtung sind die Qualitätsmedien in Deutschland dennoch – insgesamt – nicht schlechter, hin und wieder sogar besser, weil selbstkritischer geworden. Die digitale Informationswelt hingegen verspricht, jede und jeder könne nun überall, selbst und ganz leicht die Wahrheit entdecken. Welch ein Irrtum, aber gutes Marketing (oder Propaganda?) für digitale Produkte.

Mit dem Ansehensverlust der klassischen Medien und dem Heilsversprechen der digitalen öffneten sich die Schleusen für Propaganda aller Art und Herkunft.

„Wir sind umzingelt von Propaganda“, schreibt Gero von Randow in DER ZEIT vom 23. Juli. „Manchmal lässt sie sich leicht erkennen […]. Meistens aber schleicht sich Propaganda unerkannt an. Besonders schwer bemerken wir sie, wenn sie aus freien Stücken von eifrigen Individuen weitergegeben wird, die an sie glauben. Wie ein Virus benutzt die Propaganda diese Überzeugungen als Reproduktionsmaschinen.“

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* Zu den Westmedien gehörten Fernsehen und Rundfunk. Zeitungen aus dem Westen bekam der normale DDR-Bürger nie.

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