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Was wir über das Abendland wissen sollten

Alle reden vom Abendland und kaum einer weiß so recht, von wovon da eigentlich die Rede ist. „Ein gregorianischer Choral kann wie eine Kantate Bachs etwas von der Harmonie des Universums zum Klingen bringen, eine gotische Kathedrale göttliche Erhabenheit einflößen, ein Bild oder eine Skulptur Michelangelos die Pracht der Welt als göttliche Schöpfung feiern, ein Gemälde Caspar David Friedrichs das unfassbare Geheimnis des Daseins versinnbildlichen und ein Roman Leo Tolstois die sittliche Kraft des Christentums deutlich machen“, so Jörg Lauster, der „Eine Kulturgeschichte des Christentums“ schrieb, veröffentlicht unter dem Titel „Die Verzauberung der Welt“, bei C.H. Beck, 734 Seiten.

Die tragenden Grundüberzeugungen des Christentums sind nicht allein in seinen klassischen Lehren, Riten und Institutionen zu finden, heißt es zutreffend im Klappentext, sondern auch in Musik, Kunst, Architektur, Literatur  – also – füge ich hinzu  – überall im Leben, in Politik und Gesellschaft. Auf eine außergewöhnliche Entdeckungsreise nimmt uns Jörg Lauster mit. Am vergangenen Sonntag kritisierte er im DLF allerdings die Trennung in Abendland und Morgenland. Der Begriff „Abendland“ sei der Versuch, eine unglaubliche Kulturgröße einzugrenzen, was immer nur bedingt funktioniere. „Historisch müssen wir sagen, dass das Christentum, etwa im Frühmittelalter bis zum Hochmittelalter, aus der islamischen Kultur unglaublich viel gelernt und übernommen hat – zum Beispiel auch seine eigenen griechischen und lateinischen Wurzeln, die uns ja über die islamische Kultur erhalten geblieben sind.“

Der Autor verzaubert mich als Leser. Die Geschichte selbst bleibt grausam schrecklich und wunderbar faszinierend zugleich. Jörg Lauster beschreibt sie in allen Höhen, Tiefen und Zusammenhängen bis hinein in die Unbegreiflichkeit. In seinem Buch lässt er für Gläubige die Tür geöffnet, wie für Historiker und jeden Zeitgenossen.

Vom Anfang her betrachtet, könnten wir heute mit unserer Geschichte zufrieden sein. Für aktuelle Debatten (und professionelle Kommunikation) ist diese Art von Buch und Kultur ein unerhörter Gewinn.