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Schweigespirale außer Kraft

Im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung stellt das Internet, Facebook & Co, alles auf den Kopf. Verlierer sind die journalistischen Medien. Aber nicht nur sie.

Den Prozess der Meinungsbildung beschrieb Elisabeth Noelle-Neumann 1980 mit der Theorie der Schweigespirale (PR-Online), nach der – auf den Punkt gebracht – die Medien viele, die sich nicht der herrschenden öffentlichen Meinung anschließen, zum Schweigen bringen. Denn unter öffentlichem Druck trauen sich die meisten Menschen nicht, sich gegenteilig zu äußern (aus Furcht vor sozialer Isolation). Die Theorie war von Anfang an heftig umstritten und wird nicht selten missgedeutet, wie Übermedien zeigt. Doch zahlreiche Phänomene der aktuellen poltischen Debatten lassen sich mit der Schweigespirale exzellent erklären.

Die journalistischen Medien spielen in dieser Theorie eine entscheidende Rolle. Was jedoch passiert dann, wenn – wie aktuell zu konstatieren – die Medien keine Kraft und Macht mehr zur Meinungsbildung besitzen? Was geschieht, wenn das Vertrauen in die Medien verloren gegangen ist? Die Folge, die Normalbürger verschweigen nicht mehr ihre Ansichten, vor allem auch dann nicht mehr, wenn sie anderer Meinung sind als die, die sie als offiziell auffassen. Lauthals und empört äußern sie sich und posaunen, wenn es darauf ankommt, die widersinnigsten Ansichten hinaus in die Welt. Bestärkt und bestätigt werden sie dabei in den Echokammern von Facebook & Co (politik-digital.de). Denn dort kann jeder nach Belieben seine Meinung bestätigt finden (NachDenkSeiten). Für Menschen, die sich bisher der öffentlichen Meinung fügten, war das, was in den Medien stand, nicht selten auch schon früher zweifelhaft. Sie schwiegen und passten sich an. Heute hingegen klagen nicht wenige von ihnen über die „Lügenpresse“ oder glauben, weil sie sich nicht angesprochen fühlen, die Journalisten seien nichts anderes als Propagandisten und staatlich gesteuert. So rufen sie – die Wutbürger – ihren Unwillen ungehemmt hinaus, denn sich mal richtig zu empören befreit. Damit versuchen sie der selbst verschuldeten Unmündigkeit, den Medien unkritisch zu glauben*, zu entkommen. Doch sie stürzen – ohne es zu ahnen – in ein neues Dilemma: Von journalistischen Medien nichts mehr wissen zu wollen heißt auch, auf deren Informationen, Anregungen und Orientierung zu verzichten. Nun wirkt die Welt noch chaotischer und ist schließlich gar nicht mehr zu begreifen. Für diese Fälle bieten dann Demagogen und Heilsbringer wie Pegida & Co Lösungen für alles Übel.

Was aber tun? Draufschlagen ist das denkbar schlechteste Konzept. Nicht alle, aber viele von ihnen gehören zu den Verlierern. Sie verstehen die Welt nicht mehr.

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*An dieser Unmündigkeit tragen auch die Medien kräftig Schuld.

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