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Opfer im Osten (II)

Die Erzählung von Niederlage und Opfer zu sein begann schon unmittelbar nach der Wahl vom 18. März 1990. Auch wieder angefeuert von den Medien und bestärkt durch die kritische Elite in West und Ost. Diejenigen, die sich der Bürgerrechtsbewegung zugehörig fühlten, haderten (zu recht) mit dem Ergebnis der Volkskammerwahl, nahmen aber (etwas beleidigt) nicht wahr, dass das Stattfinden der freien Wahl zur Volkskammer maßgeblich ihr Erfolg war. Sie waren nicht Opfer dieser Wahl, auch wenn sich ihr Sieg nicht in Prozenten ausdrückte. Jetzt übernahm – wie in der Demokratie üblich – die Mehrheit die Macht und diese Mehrheit wollte die rasche deutsche Vereinigung. Dieser Sieg und diese Mehrheitsentscheidung waren allerdings rasch vergessen, als der Transformationsprozess schwierig und unbequem wurde. Immer mehr wurden die Ostler als Opfern beschrieben.

Dem widersprachen im Osten nur wenige. Denn der Opfer-Status ist angenehm und die Leute im Osten daran gewöhnt. Maulen und meckern hinter vorgehaltener Hand war eingeübt, dabei standen jetzt Anstrengung und Engagement auf der Tagesordnung. Der häufig fehlende Widerspruch der Ostdeutschen indes deuteten die Westdeutschen – im Eigeninteresse – als Zustimmung oder als Äußerung von „Ewiggestrigen“. Die Tatsache einer Revolution im Osten – zumal einer friedlichen – geriet völlig zur Nebensache. Mitschuldig an dieser Einordnung waren auch Akteure von 1989, die nach der verlorenen Wahl nicht mehr richtig an das glaubten, was sie selbst vom Zaun gebrochen und erreicht hatten.

Im Lauf der Zeit wurden im Meinungsbildungsprozess nach 1990  – zunächst ziemlich unbemerkt – die alten Denkweisen und Erfahrungen reaktiviert. Bestens manifestiert hat sich dieser Prozess im Begriff der „Wende“, der schnell überall salonfähig wurde. Wahlfälscher und SED-Sekretär Egon Krenz versuchte noch 1989, die Revolution mit dem Begriff Wende zu marginalisieren. Das Kleinreden gelang. Im Transformationsprozesses (der, wie konnte es anders sein, schwer war) wurden Schritt für Schritt Ursachen und Folgen der 89er Revolution nicht selten völlig auf den Kopf gestellt, die Fakten bis zur Unkenntlichkeit verdreht und persönliche Verantwortung in einer Diktatur – wieder einmal – unter den Tisch gekehrt. Bestes Beispiel Gregor Gisy, der als 1. Sekretär ab Dezember 1989 durch Umbenennung die SED in die neue Zeit rettete und schließlich mit dieser Partei die „Linken“ prägte. Nunmehr waren nicht die DDR und der sowjetische Kommunismus Ausgangspunkt und Ursache für das wirtschaftliche und gesellschaftliche Desaster, sondern die anderen, also der Westen und die Wessis. Das ist nach der Revolution von 1989 schon eine erstaunliche Wende. Der lautstarke Widerspruch im Osten zum Opfer-Status kam erst viel später und dafür umso empörter. Wer hat uns dazu gemacht, was wir heute sind?

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