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Eine Reise durch die Westukraine und Nordostrumänien

Mit meinen Augen wollte ich sehen, was in dieser nicht allzu fernen Region passiert. Beunruhigende Nachrichten ereilen uns zur Genüge. Doch wie leben die Menschen in der Ukraine trotz des Krieges im Osten? Wie zeigen sich die Städte und das Land? Und im Vergleich dazu:  Wie sieht es auf der anderen Seite aus, in Rumänien, das zur Europäischen Union gehört? Wie entwickeln sich dort Städte und Dörfer? Was die Medien berichten, wissen wir. Aber was können wir von den Menschen erfahren?

Den rumänischen Teil mit den Moldauklöstern besuchte ich vor fünf Jahren. Im rumänischen Maramures (dt. Maramuresch) trampte und wanderte ich vor 40 Jahren. Damals fühlte ich mich ins 19. Jahrhundert versetzt.

(1) Lwiw findet keine Ruhe

Zunächst überraschte mich Lwiw (dt.Lemberg). Eine Stadt, dessen Charme mich sofort faszinierte und an Prag und Krakau erinnerte: voller junger Leute, Musiker, Maler und Gaukler auf den Straßen. Die Mädchen und jungen Frauen, wie wir sie von Polen kennen, zeigen sich selbstbewusst, schlank, elegant und modisch. Häufig sind Jung und Alt mit traditionell bestickten Hemden gekleidet. Kneipen, Cafés und Restaurants drängeln sich in der Stadt und auf den Straßen. Die Gasthäuser wechseln sich mit barocken Kirchen, Kapellen und Klöstern ab. Straße für Straße reihen sich restaurierte Bürgerhäuser der Renaissance, des Klassizismus, Biedermeiers und Historismus aneinander. Ein mächtiges Rathaus mit schlankem Turm steht in der Mitte der Stadt. Am Eingang erinnern Fotos – auf eine Tafel geheftet – an in der Ostukraine im Krieg getötete Männer, davor Blumen in den Landesfarben.

Unbeeindruckt scheint das Leben weiter zu gehen. Überall sitzen und schwatzen junge lebensfrohe Leute. Ein quirliges Auf und Ab. Souvenirs werden verkauft, Blumen, Eiscreme, Saft und Wasser, auch Klopapier mit aufgedrucktem Putin. Dazwischen schiebt sich einer, arm und elendig, und bittet um Geld. Proppenvolle, klapprige Straßenbahnen queren eher leise die Altstadt. Holprig das Straßenpflaster. Überall wird schmackhaftes Essen angeboten, guter Wein und auch heimisches Bier. Alles, was das Herz begehrt, gibt es und für uns zu extrem guten Preisen. Englisch kann jeder. Deutsch hören ich eher selten. Coffee to go heißt hier: Kaffee spaziersch. Ukrainische Fahnen und Wimpel wehen an allen Ecken. Die Stadt feiert an diesem langen Wochenende – die Nacht nimmt kein Ende – und freut sich über die Befreiung von den Deutschen vor 70 Jahren. Mitten im Getümmel entdecke ich auf dem Vorplatz zur Oper einen Panzerwagen – bunt geschmückt – und zwei Soldaten.

Mein Hotel, namens George, altehrwürdig, um 1900 gerbaut, beherbergte schon Kaiser Franz Joseph I. und zu meiner Freude auch die Musiker Brahms, Liszt, Strauss und Ravel. In Österreich-Ungarn war Lemberg die viertgrößte Stadt nach Wien, Budapst und Prag, nach 1918 im wiederentstanden Polen die Metropole im Osten. Diese Bedeutung bringen die Lemberger, die heute überwiegend Ukrainer sind, in ihrer Lebensart stolz und selbstbewusst zum Ausdruck.

Ein Wunder bleibt, dass wir Deutschen hier gastfreundschaftlich aufgenommen werden. Am Abend spreche ich mit G. G. und Tochter, die in Workuta geboren ist, weil ihr Vater, ein Ukrainer, wie zehntausende Landsleute von den Sowjets deportiert wurde. Zum Krieg im Osten sagen sie, wir haben gegen Russland keine Chance, aber wir nutzen sie.

Mitternacht. Die Stadt feiert fröhlich und laut. Können wir von der Ukraine lernen? Die Süddeutsche Zeitung überschreibt einen Gastkommentar mit „Ukrainischen Lektionen“.

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