Blog & Notizen

Corona und Kommuniation: Die Wirkung des Faktischen

Wer die gegenwärtige öffentliche Kommunikation verfolgt, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Die Corona-Krise wirbelt alles auf und fördert zutage, worauf es in Leben und Gesellschaft tatsächlich zunächst ankommt, nämlich auf vorausschauendes Handeln und kluges Verhalten – nicht auf mediale Kommunikation.

Endlich wird wieder deutlich, in welcher Reihenfolge komplexe Probleme (idealtypisch) behandelt werden: Das Thema wird (bestenfalls) erkannt und analysiert. Fachleute suchen (abwägend) nach einer Lösung. Politikerinnen und Politiker bewerten (und erarbeiten) Vorschläge und entscheiden darüber. Schließlich müssen Verwaltungen (häufig als Bürokratie denunziert) alle Gesetze / Verordnungen gut (und schnell) ins Leben umsetzen. In diesem Prozess läuft alles parallel. Der eine Vorgang kann den anderen überholen oder obsolet machen, ohne dass dafür jemand Schuld trägt, aber durchaus schuldig werden kann. Alle Vorgänge verknäulen sich und verwirren. Wann nun sollte – um der Gesellschaft Willen  – Kommunikation beginnen?

Bisher lautet die gängige Antwort: Sofort.

An dieser Sofort-Front standen die journalistischen Medien ganz vorn. Ihr Leitbild: Was nicht kritisch und schnell hinterfragt und durchleuchtet wird, ist nicht wahr. Doch schon der Wettbewerb mit den sozial genannten Medien offenbart, dass – analog der berühmten Geschichte von Hase und Igel – dieses journalistische Berufsverständnis nicht sonderlich klug ist. Denn durch Rennen, Jagen, Hetzen und (gezielten) Abschuss gewinnen Journalisten nichts. Dieses Vorgehen gleicht eher dem Handwerk von Jägern.

In der aktuellen, existenziellen Krise besinnen sich Gott sei Dank viele Journalistinnen und Journalisten wieder auf ihre Kernkompetenz: Kritische Themen unaufgeregt zu identifizieren, Fachleute zu Wort kommen und ausreden* zu lassen sowie – bei der Arbeit – sich nicht arrogant einzubilden, sie seien die Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Nein, das sind sie nicht.

Journalisten sind Fachleute für die öffentliche Debatte. Sie zu führen ist hohe Kunst und verlangt professionelles Können auf allen Ebenen und in allen Formen der Darstellung. Zum Journalismus gehören selbstverständlich auch immer wieder, kritisch nachzufragen und nicht alles zu glauben, was öffentlich verlautbart wird. (Beispielsweise, ob die chinesischen Corona-Zahlen stimmen.) Zum journalistischen Selbstverständnis sollte auch wieder mehr Respekt vor anderen Meinungen gehören. (Niemand verlangt, dass mit jedem geredet wird!). Richtig gefährlich und rufschädigend wird es, wenn die Journalistinnen und Journalisten den Eindruck vermitteln, sie wüssten alles und das alles auch noch viel besser.

Gegenwärtig staune ich über die vielfach umsichtige und zurückhaltende journalistische Arbeit. (Deshalb höre ich die öffentlich-rechtlichen Medien und kaufe gern Zeitungen). Bei der (notwendig) kritischen Distanz steht der journalistischen Berichterstattung sehr gut zu Gesicht, auch mal etwas wirken zu lassen, nicht ständig zu mäkeln und zu maulen. In der Bewältigung der Corona-Krise steckt tatsächlich die Chance, auch wieder medial mehr wahrzunehmen, was wirklich zählt: unser aller Leben.

*Nicht selten können heute Fachleute großartig kommunizieren.

Weiteres zum Thema