„Historiker [sind] nicht nur Fachidioten […], sondern auch Zeitgenossen. Und deshalb können wir nicht zu dem schweigen, was unter unseren Augen vor sich geht. Die einzige Frage ist, wie man das macht; ob solide, umsichtig und kritisch begründet oder oberflächlich, demagogisch und mediengeil […]. Aber um eine gewisse Parteinahme für das eine oder andere, für die – auch wenn das jetzt pathetisch klingt – Wahrheit oder die Lüge, da kommen wir nicht herum“, so der Historiker Karl Schlögel* in einem Interview mit science.ORF.at.
„Bis letztes Jahr hatte ich mit sozialen Netzwerken überhaupt nichts zu tun. Seit sich aber ab Februar die Ereignisse überschlagen haben und man ziemlich hilflos war, sich ein Bild zu machen, bin ich gezwungen worden, mich in diese Welt hineinzubegeben. […] Man muss erst die Kunst erlernen, zwischen den verschiedenen Bildern zu navigieren, die da gestreut werden. Wobei ich der altmodischen Auffassung bin, dass es weiter Unterschiede gibt zwischen facts und fiction.“
Lukas Wieselberg, Wissenschaftsredakteur bei bei Ö1 und Chef vom Dienst von science.orf.at, bemerkt: „Was im Zeitalter der neuen Medien aber nicht immer ganz einfach zu unterscheiden ist […].“
Schlögel dazu: „Putins Propaganda ist nicht einfach die Wiederaufnahme der stalinistischen. Russland ist in letzten 20 Jahren durch die Schule von Hollywood gegangen. Sie wissen, wie man in der Öffentlichkeit spielt, was Bilder bewirken, sie machen nicht einfach Propaganda, sondern ‚information war‘ auf ganz neuer Stufe. Und zwar nicht nur materiell mit einer Armada von Trollen, die eingesetzt wird, sondern der zentrale Punkt in diesem ‚Information-War’ ist es, Verwirrung zu stiften. Man soll nicht mehr unterscheiden können, was wirklich ist und was Fiktion. Dass im Unklaren bleibt, was das Kriegsgeschehen ist […]. “
Wieselberg: „Haben Sie ein Beispiel, wo das Internet bereits hilfreich war für die Wahrheitsfindung?“ Schlögel: „Der Abschuss des Flugzeugs aus Amsterdam nach Kuala Lumpur im Juli 2014. Ein Gespräch russischer Separatisten wurde abgehört und war 20 Minuten nach dem Abschuss im Internet. Man hört das Erstaunen der Kommandeure. Vielleicht wollten sie ein anderes Ziel treffen, aber es ist völlig klar, dass sie die Raketen abgeschossen haben. So ein Tondokument kann man nicht 20 Minuten nach dem Ereignis fabrizieren, das übersteigt die Fähigkeiten selbst des besten Geheimdienstes.“
*Karl Schlögel u. a.: Die Mitte liegt ostwärts: Europa im Übergang. München 2002