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(6) In der Mitte Europas und am Ende der Reise

Das Gebiet und die Orte in der Ukraine, die ich jetzt besuchen will, liegen geografisch in der Mitte Europas und sind mir dennoch völlig unbekannt. Das Areal gehörte bis 1919 zu Ungarn, dann zur neugebildeten Tschechoslowakei … Ende 1944 übernahmen die Sowjets die Herrschaft. Seit 1991 ist die gesamte Ukraine unabhängig – nach einem landesweiten Referendum (Wahlbeteiligung 84, Zustimmung 90 Prozent).

Die Grenzkontrollen von Rumänien in die Ukraine verlaufen wieder reibungslos. Dann beginnt jedoch der Schrecken: Die Straße besteht nicht mehr als solche, Loch an Loch und Schotter wechseln sich mit kantigen Resten des ehemaligen Belags ab. Für die nächste Stunde bleibt daher die Frage, wie lange geht das so? Bis Lwiw? Doch nach 20 Kilometern ist alles vergessen.

Die Theiß (ukr. Tisza), ein Nebenfluss der Donau, überquere ich, dann kommt das Städtchen Vynohradiv (ung. Nagyszőlős) und schließlich Mukatschewe (ung. Munkács, tschech. Mukačevo, dt. Munkatsch). Die geschäftige Kleinstadt liegt malerisch am Südrand der Ostkarpaten (mdr). Der Weinbau wird hier seit Jahrhunderten gepflegt. Die Kelten siedelten bereits in dieser Gegend. Im 18. Jahrhundert zogen deutsche Siedler hier her. In der Stadt bestand eine große jüdische Gemeinde  –  bis zur Deportation nach Ausschwitz.

Das Schloss Palanok, im 14. Jahrhundert auf dem 70 Meter hohen Burgberg erbaut, hat eine bewegte Geschichte. Der ungarische Nationalheld Franz II. Rákóczi residierte auf der Burg, lange Zeit fungierte das Schloss als Gefängnis und in den 1950er Jahren hatten sich hier der NKWD und KGB einquartiert. Vom Schlossberg blickt man bei schönem Wetter unglaublich weit in die ungarische Tiefebene und – nach Nordosten – in die mächtigen, wenngleich sanften Berge der Waldkarpaten.

In der Stadt verkehren dicht an dicht moderne Autos und „alte Kisten“ (die Typen, die ich noch aus DDR-Zeiten kenne). Erst eine Fußgängerzone befreit von Autos und Abgasen. Die zwei- und dreistöckigen Häuser aus dem 19. Jahrhundert sind gut erhalten. Ukrainische Fahnen wehen an den offiziellen Gebäuden, sonst eher selten. Auf dem Markt steht ein kleiner Stand, an dem Studentinnen für Europa werben. Postkarten mit Stadtmotiven aufzutreiben, ist schwierig.

Mitten im Trubel spricht mich ein Ukrainer an, der vorzüglich Deutsch spricht, empfiehlt ein Hotel in den Bergen (in Polyana) und eine kleine mittelalterliche Burg (St. Miklos) am nordöstlichen Rand der Stadt. Wenn sich schon Deutsche in die Ukraine trauen, dann – so sagt er – müsse man ihnen auch besonders behilflich sein.

Die kleine Burg zu finden, ist eine Herausforderung. Wie häufig ist keine Beschilderung vorhanden. Von außen sieht St. Miklos nicht sehr einladend aus. Innen begrüßt uns der Hausherr, der  – wie er auf Deutsch sagt – ohne staatliche Unterstützung das Schlösschen mit Ausstellungen, Musik und Restaurierungen am Leben hält und Stück für Stück ausbaut. Obwohl deutscher Herkunft könne er leider nicht mehr so gut Deutsch sprechen. Ein junger Kiewer Architekturstudent, der hier als Praktikant arbeitet, spricht Englisch und führt sehr sympathisch durch die verwinkelte Burg, verwickelte Geschichte und moderne Ausstellung.

Auch den zweiten Vorschlag befolge ich und übernachte in Polyana im Hotel Reikartz, einem vorzüglichen und preiswerten Hotel. Die bauliche Umgebung präsentiert sich neureich und schrecklich, also bleibe ich nicht, obwohl die Buchenwälder zum Wandern einladen.

Über die Karpaten führt mein Weg nach Lemberg zurück. Zunächst verläuft die breite Straße durch dichten Buchenwald, kräftig der Anstieg, aber keine steilen Berge, später lichten sich die Wälder, dann folgen Wiesen, kleine Felder, ab und zu Dörfer. Hier sieht es anders aus als in den Städten, offenkundig leben die Menschen hart und mühselig. Die Waldkarpaten zu besuchen, nehme ich mir für eine nächste Tour vor.

Die Straße über die Karpaten erweist sich als gut befahrbar. Der Verkehr hält sich in Grenzen. In wenigen Stunden bin ich am Ziel. In Lwiw fühlte ich mich schon wie zu Hause.

Die Westukraine ist westeuropäisch geprägt. Wie der Krieg im Osten des Landes Gesellschaft und Leben beeinflusst, davon habe ich nur wenig gesehen (euronews). Nachrichten über das Land zu bekommen, bedarf einiger Mühe, und sie zu verstehen auch. Außerdem kann nicht alles geglaubt werden, was durch die Nachrichtenwelt flattert oder getrieben wird (Krautreporter: „Der Plan von der Abschaffung der Wahrheit“). Ich sah wie die Ukrainer leben, wie sie sich bewegen, sich anziehen, was sie einkaufen, wo und wie sie wohnen. Der erste Blick zeigt die äußerlichen Bedingungen und diese sind häufig anders als gewohnt. Deshalb war mir der zweite Blick vor Ort so wichtig.

Die kyrillischen Buchstaben kann ich nur mühselig entziffern, von daher wusste ich selten, was sie bedeuten. Macht nichts. Orientierungstafeln und Wegweiser sind in Osteuropa ohnehin Mangelware. Gute Karten konnte ich im Lande kaufen. Reiseführer gibt es (Ukraine – der Westen, Reise Know-How Verlag). Mit Englisch in den Städten und mit „Händen und Füßen“ kam ich gut durchs Land. Genau hingesehen, da entdeckte ich überall äußerst gastfreundschaftliche, sympathische und engagierte Menschen. Die Ukrainer wollen geachtet sein und besser leben als bisher. Die Reise in das Maramuresch und die Bukowina in Rumänien zeigt, das Ziel ist realistisch, wenngleich nicht ohne Risiko und mit viel Arbeit und Anstrengung verbunden.

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Die Reise in die Westukraine und nach Rumänien erlebte ich gemeinsam mit meiner Frau und Erfurter Freunden.

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