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(5) Romantisch, reich und eine grausame Geschichte

Mein nächstes Ziel ist Maramureș (dt. Maramuresch). Ich besuchte vor vierzig Jahren den Nordosten Rumäniens. Damals fühlte ich mich ins 19. Jahrhundert versetzt. In meiner Erinnerung prägen das Gebiet bewaldete Berge und eine traditionelle dörfliche Holzarchitektur.

Vom Prislop Pass in fast 1.500 Metern Höhe genieße ich den Blick über die Berge – links die Munții Rodnei (Rodagebirge) und rechts die Muntii Maramuresului (der Hauptkamm des Maramuresgebirge), das Grenzgebiet zur Ukraine. Im Netz erkenne ich auf einem Foto vom 2303 Meter hohen Pietrosul (vermutlich) die niedrige Steinhütte, in der ich Anfang der 1970er Jahre nächtigte, um mich vor Schnee, Regen und Sturm zu schützen.

Die Straße führt über Serpentinen bergab und wird zunehmend schlechter. Ab Moisei (dt. Mosesdorf) fahre ich zunächst nach Vișeu de Sus (dt. Oberwischau, ungar. Felsővisó, jidd. Ojberwischo), um mir eine Fahrkarte für die Schmalspurbahn zu sichern, dann zurück und weiter über Săcel und Bârsana nach Sighetu Marmației (dt. Marmaroschsiget).

Ja, die hohen Holzkirchen entsprechen meiner Erinnerung, alles andere aber hat sich vollkommen verändert. Nach meinem Eindruck scheint jedes zweite Haus neu zu sein. Das Gebiet ist dicht besiedelt und, dem Autoverkehr nach zu urteilen, relativ wohlhabend. Die berühmten Holztore und Holzhäuser sind selten geworden. Ebenso selten geworden sind Frauen mit der Wollspindel in der Hand und Männer mit Sense auf der Schulter. Sie trugen damals Schuhe aus einer Ledersohle mit Schnüren über weiße Schafwollsocken hochgebunden bis zum Knie. Nichts von all dem ist mehr da. Nur eine Frau sehe ich unterwegs mit einer Spindel in der Hand und Wolle spinnen .

In Oberwischau lasse ich mir nicht nehmen, mit der dampfbetriebenen Schmalspurbahn in ein romantisches Karpatental zu tuckern. Die Kleinbahn transportiert noch immer Holz (die Holzindustrie hat sich enorm entwickelt). Sie ist die letzte Waldbahn in Rumänien und hat eine ganz aktuelle Geschichte (Tages Anzeiger). Das gastfreundliche Wesen der Rumänen darf man nicht auf wirtschaftliche Kontakte beziehen.

Eindrucksvoll und für ein Bahnhofsgebäude ungewöhnlich eine Fotoausstellung zur ehemals jüdischen Bevölkerung. Bis 1944 wurden Zehntausende Juden aus dieser Gegend, die damals zu Ungarn gehörte, nach Auschwitz deportiert und – nach wie vor unvorstellbar – dort vergast, umgebracht. Kaum jemand kam zurück. Dank eines Überlebenden konnten in Ojberwischo die Häuser, in denen Juden lebten, auf einer Karte rekonstruiert und mit den Namen der ehemaligen Bewohner und Besitzer versehen werden. Ob das allen angenehm ist?

In Sighetu Marmației schließlich angekommen, einer Stadt im äußersten Nordwesten Rumäniens mit etwa 40 000 Bewohnern (10 Prozent Ungarn), werde ich von zwei monumentalen Kirchen begrüßt. Die neuen Kirchen stehen in offenkundiger Konkurrenz unmittelbar nebeneinander. Die katholische Kirche wirkt moderner, gleichwohl – wie ich finde – nicht einladender als die orthodoxe.

Ich besuche zunächst die jüdische Gedenkstätte im Geburtshaus von Elie Wiesel, Schriftsteller und Nobelpreisträger (Siebenbürger Zeitung). Das Haus zeigt in ehemaligen Wohnräumen die Geschichte der jüdischen Kultur im Mamamuresch (Jüdische Allgemeine). 10000 Juden lebten einstmals in der Stadt.

Dann gehe ich in in die Gedenkstätte für die Opfer des Kommunismus und des Widerstandes. Das eindrucksvolle wie informative Memorial Sighet wurde 1993 von der Alianța Civica (Bürgerallianz) und der Schriftstellerin Ana Blandiana initiiert. Die Gedenkstätte – unter der Schirmherrschaft des Europarats  – richtete man in einem Gefängnis ein, in dem ab 1948 vom kommunistischen Regime unter den verschiedensten Vorwänden Menschen inhaftiert und misshandelt worden waren. Mehr als zwei Millionen Opfer hatte das kommunistische Regime zwischen 1944 und 1989 gefordert – als Zwangsarbeiter, Deportierte, Gefangene, Gefolterte, Ermordete (Traian Băsescu 2006).

Betroffen und nachdenklich verlasse ich Sighet in Richtung ukrainische Grenze – auf verschlungenen, aber auffallend guten Straßen.

In der Kleinstadt Negrești-Oaș (ungar. Avasfelsőfalu oder Felsőfalu) überrascht mich ein Erlebnis der besonderen Art: Einige Dutzend, vielleicht hundert neue pompöse Villen, meist wenig geschmackvoll, reihen sich aneinander. Besonders beliebt sind gewölbte, runde Dächer hochaufragend wie aufgeblasen. Der einzige für mich nachvollziehbare Grund für diese Ansammlung von Reichtum wäre zu viel Geld. Warum diese Zurschaustellung hier in dieser Gegend stattfindet, bleibt mir ein Rätsel.

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