Die Grenzer an der ukrainisch-rumänischen Grenze kontrollieren zügig und nett. Unsere Angst vor dem Grenzübertritt rührt also noch aus dem vorigen Jahrhundert her, als im sozialistischen Rumänien von Ceaușescu die Grenzer zu den übelsten ihrer Sorte gehörten. Willkürliches stundenlanges Warten und offene Bestechung gehörten zum Repertoire und sind – Gott sei Dank – heute Geschichte.
Ich durchfahre eine flache Landschaft, überquere nach wenigen Minuten den Fluss Siret. Von dieser Seite fuhr ich noch nie nach Rumänien und hatte eigentlich auf ukrainischer Seite mit Bergen gerechnet. In Rumänien empfängt mich Siret, eine hektisch betriebsame Kleinstadt. Ich fahre weiter nach Rădăuţi (dt. Radautz) – ein Städtchen mit ca. 30 000 Einwohnern, einer prachtvollen (verschlossenen) Synagoge und der Bogdana-Kirche, einer der ältesten Kirchen Rumäniens.
Rădăuţi war einst die zweitgrößte Stadt nach Czernowitz in der Bukowina. Heute zeigt sie sich quick lebendig und überaus geschäftig. Viele der Häuser, auch die, die ehemals von der jüdischen Bevölkerung (35 Prozent 1920) bewohnt wurden, sind heute gut restauriert. Ich möchte weiter in die Pension Casa Felicia in der Nähe des Mânăstirea Moldoviţa, (dt. Kloster Modavita). Durch ein endlos lang erscheinendes Dorf führt meine Straße, rechts und links gesäumt von deutlich mehr neuen als alten Häusern.
Die Pension befindet sich in einem traditionellen Bauerngehöft mit drei Holzhäusern und einer Scheune. Alles wunderbar eingerichtet und geschmückt mit bestickten Tüchern und Teppichen, in keiner Weise kitschig. Das schmackhafte Essen am Abend und am Morgen gibt es für die Gäste liebevoll vorbereitet an einer Tafel. Hier ergeben sich anregende Gespräche – in diesem Jahr mit Schweizern und Österreichern.
500 Meter Fussmarsch sind es zum Kloster – zunächst am Klostergarten mit blühenden Apfelbäumen vorbei, dann erheben sich die Klostermauern, mächtig und wehrhaft. Das spitze Kirchendach und die Kuppel des Kirchturms ragen mit orthodoxen Kreuzen über die Mauern. Das Kloster liegt harmonisch eingebettet in einem Tal der bewaldeten Karpatenberge. Ein wunderbarer Buchenwald.
Am äußeren Zugang zum Kloster säubert eine Nonne sorgfältig den roten Postbriefkasten. Im wuchtigen Holztor steht nur ein Türchen offen, ich muss den Kopf einziehen und mich schmal machen, um eintreten zu können. Eine Nonne nimmt das Geld für das Eintrittsbillett und begrüßt auf Rumänisch und Englisch. Dann erblicke ich die strahlenden Farben der Fresken an den Außenmauern der Klosterkirche. Der Innenhof, außerordentlich gepflegt, empfängt uns mit großer Stille.
Das Kloster Moldavita wurde 1532 erbaut, also in einer Zeit, als in Mitteleuropa die Klöster geschlossen wurden. In dieser Gegend, die damals zu den Fürstentümern Moldau gehörte, entstanden im 15. und 16 Jahrhundert zahlreiche Klosteranlagen. Die Fürstentümer mussten an das osmanische Reich, die „Hohe Pforte“, Tribut zahlen, waren also abhängig von den Türken und stets gefährdet durch andere Krieger aus Ost und West. Die Geschichtsschreibung sagt, dass die christlichen Fürsten immer dann, wenn sie eine siegreiche Schlacht geschlagen hatten, Klöster stifteten und errichten ließen. Die reiche Außenbemalung rühre daher, dass sich die Kirchen für die zahlreichen Gläubigen häufig als zu klein erwiesen (Deutsche Welle).
Die Klöster der Bukowina gehören seit den 1970er Jahren zum Weltkulturerbe der UNESCO. Der Rumänische Staat pflegte damals zwar das bauliche Erbe, ging aber höchst restriktiv und manchmal brutal mit Gläubigen, Priestern, Mönchen und Nonnen um. Als sich 1948 katholische Priester und Bischöfe weigerten, sich in die rumänische orthodoxe Kirche eingliedern zu lassen, kam es zu Verhaftungswellen. Die kommunistische Erziehung umfasste alle Lebensbereiche und auch besonders die der Religion. Heute ist Rumänien Schätzungen zu folge das Land in Europa mit den meisten neuen Kirchen (Die rumänisch-orthodoxe Kirche, Kadri Kehayova). Die vielen neu gebauten Kirchen könnten in der Tat – und das wäre mir befremdlich – als ein Akt der Wiedergutmachung verstanden werden. Ja, die orthodoxe Kirche hat die Zeiten von 1940 bis 1989 relativ gut überstanden.
Auf dem Rückweg vom Kloster spricht mich ein bärtiger sympathischer junger Mann an, ob ich Deutscher sei. Er habe so gern in Deutschland gelebt und sei dem wunderbaren Lande dankbar, habe bei BMW sechs Jahre garbeitet und sich von diesem Geld hier in Rădăuţi ein Häuschen kaufen können. Dann habe er überlegt, was er in seiner Heimat machen könne, und sich schließlich für das Studium der Theologie entschieden. Heute sei er orthodoxer Priester, wenngleich zunächst erst als „Vorleser“ tätig.