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Kluft und Wege

Früher hatten die arbeitenden Menschen kaum Mittel und Möglichkeiten, sich bei den Eliten Gehör zu verschaffen. Der Kommunismus mit der Parole „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ erwies sich für sie als mörderischer Irrweg. Der Faschismus als Auffangbecken für Unterprivilegierte führte in die totale Katastrophe. Im 20. Jahrhundert organisierten Ideologen die Unzufriedenen, während heute Facebook, Twitter, WhatsApp, YouTube & Co denjenigen helfen, sich zu verbünden, die sich in der Gesellschaft – aus welchen Gründen auch immer – nicht aufgehoben oder schlecht behandelt fühlen. Diese Art der digitalen Kommunikation schafft Gemeinschaft, Selbstbewusstsein und Identität.

Auf der anderen Seite und wohl unabhängig davon wächst in Amerika und in Europa eine neue mächtige kulturelle Elite heran. Die amerikanische Soziologin Elizabeth Currid-Halkett definiert sie als aspirational class. Der deutsche Soziologe Andreas Reckwitz kommt in seinem Buch Die Gesellschaft der Singularitäten zu einer ähnlichen These, nach der ganz neue Ungleichheiten produziert würden. Nach Currid-Halkett bilde diese neue Klasse „sich nicht durch ökonomisches, sondern vor allem durch kulturelles Kapital. Was sie als gesellschaftliche Klasse zusammenhält, ist nicht Geld, sondern eine gemeinsame Kultur, gemeinsame Konsumgewohnheiten, gemeinsame Werte.[…] Ihr Luxus besteht darin, wenig zu besitzen. Sie will dafür sehr genau wissen, wie die Dinge hergestellt werden. Nicht die Ware selbst verleiht Status, sondern das Wissen um den Produktionsprozess. Für solche immateriellen Werte gibt diese Elite viel mehr Geld aus als für Statusobjekte.“ Currid-Halkett beschreibt die Träger der neuen Klasse als „immun gegen Kritik“ und weiter: „Diese Leute glauben ja meist, dass sie lauter lobenswerte Dinge tun. Sie verkennen, wie privilegiert sie sind, und sind deshalb in gewisser Weise immun gegen die Kritik an der Ungleichheit. Sie sehen nicht, dass sie selbst Teil des Problems sind: einer Ungleichheit, die sich über Generationen hinweg fortpflanzt.“

Einiges spricht für die These der Soziologen. Die privilegierte Elite pflegt ihre kulturellen Rituale, setzt neue Themen und Maßstäbe, sie bedient sich einer eigenen Sprache. Was die neue Elite offensichtlich nicht leistet ist, sich um diejenigen zu kümmern, die sich im Alltag und Produktionsprozess abrackern müssen oder Angst haben, Job, Einkünfte und Familie zu verlieren. Wir – denn ich beziehe mich mit ein – starren in erster Linie auf die Anführer, die Fahnen schwenken. Vernachlässigt wird, auf die Menschen zu achten, die ihnen folgen. Die Ungleichheit und Kluft sind gefährlich groß. Jeweils nur noch in groben Umrissen erkennen wir die andere Seite. Wenn wir mehr wissen wollen, dann müssen wir – bildlich gesprochen - in das tiefe Tal uns abseilen, auf der anderen Seite über „Stock und Stein“ wieder nach oben klettern und dann, oben angekommen, daran denken, wohlbehalten zurückzukehren. Kein leichtes Unterfangen. Anfang dieser Woche lieferte DIE ZEIT ein gutes Beispiel für einen solchen Weg: Es haben nicht nur Verlierer …

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