Um seine Sicht auf die Revolution von 1989 zu illustrieren, behauptet Andreas Roth, Leitender Redakteur der Wochenzeitung DER SONNTAG, auf der Titelseite unter der Überschrift „Die unfriedliche Revolution“: Schon am 2. Oktober 1989 wären nach einem Friedensgebet in Leipzig Pflastersteine geflogen, hätten Autos gebrannt und Scheiben wären zu Bruch gegangen. Daraufhin hätten die Sicherheitskräfte zurückgeschlagen.
Nichts von dem entspricht der Wahrheit. Für Historiker ist das Friedliche der Revolution von 1989 unbestritten. Für die Behauptungen von Andreas Roth gibt es weder Belege, noch Fotos oder Zeitzeugen. Bis auf eine Ausnahme: Das berüchtigte DDR-Ministerium des Inneren „protokollierte“ im Herbst 1989 getreu der DDR-Propaganda – mit dem Ziel, die Demonstranten zu kriminalisieren und zu diskreditieren. Auf diese Quelle nun beruft sich Andreas Roth, wie eine Nachfrage ergab.
Wahr hingegen ist, dass in Leipzig alles von seiten der Demonstranten friedlich blieb, nicht so von der DDR-Staatsmacht. Am besagten 2. Oktober wurden am Ende der Demonstration (mit 20000 Teilnehmern war es die 5. Montagsdemonstration in Folge) auf dem Thomaskirchhof etwa 2000 friedliche Demonstranten zusammengeschlagen. Die „Sicherheitskräfte“ schlugen also nicht zurück, sondern drauflos. Die im Beitrag von Roth geschilderte Szenerie in Dresden, einschließlich Fotos mit Bereitschaftspolizei von Anfang Oktober, hatte völlig andere Hintergründe. Die Leipziger auf dem Ring riefen: „Wir bleiben hier!“ Die Dresdner am Hauptbahnhof riefen: „Wir wollen raus!“. Den geschichtlichen Zusammenhang beschreibt SPIEGEL ONLINE knapp und präzise.
Dass heute, 27 Jahre nach 1989, die Friedfertigkeit der Montagsdemonstrationen als „Mythos […] aus Siegerperspektive.“ verächtlich gemacht wird, ist – neben den falschen Tatsachenbehauptungen – für eine Wochenzeitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens skandalös. Roth gibt der Kriminalisierung und Diskreditierung der Montagsdemonstranten durch die DDR-Propaganda wieder neuen Raum. Welcher ideologische Teufel muss den Autor geritten haben, auf der Titelseite seines Kirchenblattes die Wahrheit so zu verdrehen?